Es geht um die Wurst. Die Autorin seziert den ritualisierten Sexismus kleinbürgerlicher, alter weißer Männer anhand einer Wurstspeise. Zum Wegschmeißen grandios.
Frauke Angel Betti zieht sich aus
Das schnodderig-derbe Model Betti und der körperliche Verfall in der Modeindustrie. Ein Tonfall wie im wilden Westen Deutschlands gängig. BÄM – auch das ist Frau.
Maik Gerecke Siegergeschichte
Halbgare Jungs prahlen mit angeblichen sexuellen Abenteuern. Einer von ihnen erlebt gerade tatsächlich eins. Dabei erfährt er, dass nicht nur Männer akzeptieren müssen, dass nein nein heißt.
Ulrike Helms Unter unserer Würde
Vier Urlaubsmädels mit kaputtem Vehikel gestrandet in der Pampa. Dazu vier hilfsbereite Männer, die aus dem Nichts auftauchen. Um die Mädels zu vergewaltigen?
Anne Büttner Quotenopfer
Bandenklopperei unter Halbstarken. Jiří gegen Maik, den bevorzugten großen Bruder. Oder was läuft da eigentlich?
Stefanie Schweizer Wenn Tauben und Enten die Plätze tauschen
Seinen Weg im Berufsleben machen – nicht easy. Vor allem nicht in Handwerksberufen. Vor allem, wenn man so gar nicht in die Schubladen eines Schreinerbetriebs passt.
Gloria Ballhause Frau Schwalbe
Frauen in der Saunalandschaft. Darunter Frau Schwalbe. Die sich vor den Augen aller seelenruhig das Schamhaar trocken rubbelt.
Birgit Rabisch Bei Licht betrachtet
Frühling. Ein Paar in den besten Jahren. Und der Ausflug in eine Vagina auf einer Niki de Saint Phalle Ausstellung.
Cornelia Becker Boogie-Woogie
Das Leben ist ein Tanz. Hier: ein Boogie-Woogie. Ein Text tanzt in Versen, genau wie das Paar, von dessen langjährigem Beziehungs-Auf und Ab er erzählt.
Holger Heiland Entschieden
Eine Frau Anfang 30. Das Hinschauen und Ablegen weiblicher Opferrolle. Auch die Entmystifizierung von Liebe.
Frank Schliedermann Bo
Die Geschichte einer geschiedenen, alleinerziehenden Mutter. Das Ringen um Zugang zu ihrem allmählich pubertierenden Sohn. Eine Mutter-Kind-Beziehung wie ein Tritt ins Herz.
Katharina Körting Margret & Fritz
Die Frage nach Schwangerschaftsabbruch. Vor dem Hintergrund katholischer Erziehung besonders komplex. Und das Anfang der 1970er Jahre, als mit der Stern-Aktion „Ich habe abgetrieben“ die Frauenbewegung erst richtig begann.
Daniel Klaus Zwischen 10 und 12
Ein Mann sieht nach Jahren zufällig eine Liebe aus Studententagen in einer vorbeifahrenden Tram. Die längst vergangene „Frauengeschichte“ lässt ihn nicht mehr los und er beschließt, sich zu konfrontieren. Mit überraschendem Ergebnis.
Chat Die Jungfrau
Eine über Beziehungen und ihr Leben reflektierende Ich-Erzählerin. Bewusstseinsstrom, der Satzzeichen mit sich reißt wie Hoffnungen. Hinter den Trümmern: das Antlitz einer Jungfrau, sexy, lesbisch – Sehnsucht, auch Ausweg – gleichzeitig das, was es zu zerstören gilt, um das eigene (emotionale) Scheitern rechtfertigen zu können.
Jan Fischer Der Mond so fern
Paralleluniversum à la Fischer. Diesmal: Ein Club-Ufo namens Paradise in südostasiatisch anmutender Atmosphäre. Kim und der Protagonist träumen von einer Liebesbeziehung ohne Rollenvorgaben.
Bernd Lüttgerding Ida und die anderen
Frauengeschichten sind nicht bloß Geschichten, sondern auch geschriebene und sich schreibende Geschichte. Da gibt es Ida und ihre Mutter Anna und etliche Kinder, Männer auch, Familienverhältnisse, Arbeitsverhältnisse, Verhältnisse – Handlungen, Wirkungen, Resonanzen, Brüche. Leben passiert – und allein die geballte Vielpfadigkeit eines Lebens lässt den Atem stocken.
Eine Studentin vor der Frage nach Abtreibung, eine geschiedene Mutter und das Ringen um die Liebe des Kindes, ein Paar in einer Vagina bei einer Niki de Saint Phalle Ausstellung. Junge Frauen konfrontiert mit stereotypbedingten Ängsten und junge Frauen konfrontiert mit einem alten Herrn und seinem ritualisierten Sexismus. Frauen in der Sauna, in Männerberufen, mit männlicher Geschlechtsidentität. Frauen in lustvollen Beziehungen, in komplizierten, in sich anbahnenden, in sich anbahnenden lesbischen. Die Sehnsucht nach einem Ort fern von Etiketten – gleichzeitig auch das Klischee des mit Potenz prahlenden Mannes, der eigentlich überraschend andere Erfahrungen mit einer Frau macht. Allumfassend die Fragen danach, was Frau-Sein bedeutet oder bedeuten kann – letztlich auch nach der ungeschriebenen „Herstory“.
Die Anthologie *innen – Frauengeschichten möchte einen Beitrag leisten, das Verhältnis zwischen den Geschlechtern zu entspannen, stereotype Rollenbilder und Vorurteile aufzudecken und abzubauen.
Crowdfunding
Lektorat, Korrektorat, Satz und Design sind bereits erledigt - jetzt muss das Buch nur noch in den Druck und genau dafür braucht es eure Unterstützung. Durch eure Vorbestellung der Anthologie, ermöglicht ihr eine kleine, schicke limitierte Auflage (250 Stück). Alle Exemplare werden von Hand nummeriert und so zum Unikat.
Mit eurem Support gebt ihr nicht nur 16 Autor*innen die Chance ein Publikum zu finden, sondern unterstützt auch ein Buchprojekt, das den Abbau von stereotypen Rollenbildern vorantreiben und eine aktiven Beitrag zur Gleichberechtigungsdebatte leisten möchte.
Die Leute sagen, ich habe nen Schaden, aber das interessiert nicht. Ich find’s schon krass, dass die Leute überhaupt was sagen. Ich bin ja nicht deren Schwester oder Nachbarin, nichts, ich bin einfach bloß ne Fresse, die sie nicht kennen, die sie vielleicht mal gesehen haben, aber Quatsch, nicht mal das, wer guckt mir denn ins Gesicht? Niemand, also ich tät’s jedenfalls nicht. Okay, wenn ich ’n Kerl wär vielleicht, ganz vielleicht gucken die auch auf die Schnute, ob die Alte ’n Lutschmund hat, aber ehrlich mal, da kauf ich mir doch ’n Porno und nicht die Vanity, oder? Das ist doch schulle, ist das, wem geht denn da einer ab?I'm a cool paragraph that lives inside of an even cooler modal. Wins!
Frauke Angel
Frauke Angel wurde 1974 im Ruhrgebiet geboren. Sie ist ausgebildete Schauspielerin und arbeitete 20 Jahre an deutschen Bühnen, zudem als Putzfrau, Verkäuferin, Grabpflegerin, Schweißerin, Bardame, Luftgitarristin und Ghostwriterin. Seit 2012 ist sie freie Autorin. Sie schreibt sowohl für Erwachsene, als auch für Kinder. Für ihre Erzählungen wurde sie bereits mehrfach ausgezeichnet.
Frauke Angel lebt nach knapp 30 innerdeutschen Umzügen mit ihrer Familie heute in Dresden.
Frau Schwalbe
Gloria Ballhause
Frau Schwalbe war Stammkundin wie Linda und fast jeden zweiten Tag im Frauenfitnessstudio. Linda nannte sie Frau Schwalbe, weil sie auf ihrer rechten Taille bis hinauf in den Rippenbogen eine Schwalbe tätowiert trug. Die Schwalbe hatte einen roten Bauch und geschwungene blaue Flügel. Von einem bestimmten Blickwinkel aus gesehen, schien es, als würde sie gerade losflattern, um sich in steilem Flug in die Höhe zu schrauben und dann auf ihrem eigentlichen Ziel, der linken Brustwarze von Frau Schwalbe, zu landen.
Gloria Ballhause
Geboren 1980, aufgewachsen in Erfurt.
Studium der Germanistischen Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie in Jena, Leipzig
und Nizza.
Schreibt vor allem Kurzgeschichten und Erzählungen.
Lebt seit 2012 in Berlin.
Boogie-Woogie
Cornelia Becker
Wann begann euer Tanz?
Hmhmhm … Vor fünfundzwanzig Jahren. In denen wir drei Kinder großgezogen haben, durch unzählige Turbulenzen trieben, manchmal kein Land mehr sahen und fortgerissen wurden vom alltäglichen Strudel und doch wieder auftauchten einer am Körper des anderen.
Er fasst ihre Hüften
und stemmt sie hinauf
weit über seinen Kopf …
hält sie einen Augenblick …
schon ist sie zurück
am Boden und …
Hoppla, ein Stolperschritt … Eins zwei drei hat er ihn abgefangen. Gut, mein Alter, sehr gut. Und ich folge dir und dem reißenden Rhythmus. Obwohl ich müde bin …
Die Harmonie ist ihr Geheimnis.
Das hat sie mir erzählt. Der Gleichklang ihrer Schritte.
Cornelia Becker
in einem Dorf in NRW geboren, zwei größere Brüder. Ein Großvater, der Gedichte schrieb und Laute spielte, Mutter spielte Akkordeon. Mit Musik, mit Rhythmus aufgewachsen. Eine Erzählung muss ihrem eigenen Ton, ihrer Melodie folgen, sonst stimmt der Text nicht. Seitdem ich das begriffen habe, beginne ich nie mehr mit dem ersten Satz.
Ich publizierte viele Erzählungen in Zeitschriften und Anthologien. 2009 erschien mein Hörbuch MagentaRot. 2011 folgte der Erzählungsband Eintritt frei. Im August 2014 erschien der Roman Die Unsterblichkeit der Signora Vero im Langen-Müller Verlag. 2017 veröffentlichte ich den Roman: Der raue Gesang in der Edition Contra-Bass, im Sommer 2017 kam die Erzählung Die Kinder meines Vaters im BÜBÜL Berlin heraus. Ich erhielt Auszeichnungen und Stipendien (u.a. Holozän, ETH Zürich/Adolf Muschg. Literaturstipendien Berlin, 1. Preis SFB Zeitpunkte)
Seit Januar 2019 veröffentliche ich regelmäßig bei DenkZeit, PonderingTime, PensoTiempo. Aktive Mitarbeiterin des „The Poetry Project“.
Gerade wurde ich nominiert mit einem Text für das Jubiläum 125 Jahre der Philharmoniker München.
Quotenopfer
Anne Büttner
„Ds ktzt mch so an, ds slche wie DU… dss hr dnkt, hr knnt euch alles … rlbn.“ Nur wenige Vokale schaffen es durch die zusammengepressten Zähne. Jiří stellt sich vor, wie es eine der Zahnreihen zusammen mit ein paar besonders intensiven Konsonanten rausfeuert: ähnlich einer schlecht befestigten Prothese beim Niesen. Zum Lachen ist ihm trotzdem nicht zumute. Jedenfalls nicht genug, als dass er es zuließe. Kein Lachen. Kein Weinen. Kein Winseln. Ganz sicher kein Flehen. Nichts davon. Nichts davon wird ihm passieren. Nicht jetzt. Nicht hier. Nicht in dieser Situation.
Anne Büttner
Damals geboren und bis heute nichts daran geändert. U.a. Fachjournalismus-Studium (abgeschlossen) an der FJS Berlin. Arbeit und Leben meistens in Berlin. Zweitmeistens nicht. Veröffentlichungen in Zeitschriften, Magazinen, Anthologien, im Goldenen Buch der Familie und in diesem Internet. Mitglied Friedrich-Bödecker-Kreis Thüringen und Nutznießerin Thüringer Literaturrat. Mehrfach prämierte Kurzgeschichten. Zweites Standbein: Rubellose.
Die Jungfrau
Chat
ES GIBT SO VIEL WAS NICHT ZUM AUSHALTEN IST UND WARUM DIE LIEBE NICHT GEHT
gebraucht werden von einem der gebrechlich ist oder verwirrt oder entstellt durch eine unheilbare Krankheit an deren Ende das Siechtum steht. ach feige bin ich. lange vor der Diagnose würde ich es wittern und schliche mich davon. bei den ersten Schwächeanfällen schon hätte ich keine Kraft mehr. Männer sollen stark sein. Männer sollen groß sein. Männer sollen mich auf Händen tragen mit mir im Mercedes fahren… ironischerweise werden alle Männer nach einer Weile schwach. ich kenn die doch. aber ich bin keine Schwester. die wollen immer eine Sozialarbeiterin aus mir machen. eine Therapeutin eine Mutter mich als Schwester benutzen. ich verachte Schwäche ich hasse Schwäche alles Schwache halte ich nicht aus ich möchte es platt machen möcht es ausmerzen wegkillern möcht ich´s. denn es soll weg weg weg. wie eine eklige Schicht grünbrauner Algen unter der Oberfläche eines Sees überrascht es dich und da plötzlich bleibst du hängen im Morast. als Kind habe ich eine Zeit lang jedes Gewässer gemieden aus Angst es würde mich verschlingen das alles was da drin ist das Kleine Unsichtbare Widerwärtige Hinterhältige.
Chat
(Almut Katharina Linder)
seit 2001 freischaffende Künstlerin mit interdisziplinären Arbeiten:
literarische Produktion
Zeichnungen
immersive performative Installationen
Choreografien mit gesprochenem Soundtrack
2006 Geburt einer Tochter
1996-2001 Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig
Das Paradise sieht auch von innen aus wie ein Ufo. Schwarze Wände laufen konvex aufeinander zu. Rote Plüschecken hängen an den Rändern des Raumes, über der Tanzfläche, dort, wo sein Durchmesser am größten ist. Bunte Lichter rotieren von über der Tanzfläche durch den Raum. An der Decke sind Spiegel eingelassen, die wie Sternbilder funkeln, wenn eines der Lichter auf sie trifft. Ansonsten ist es dunkel, als sei der Raum von Wesen mit besseren Augen erbaut worden.
Muss man nicht glücklich sein, um zu tanzen?, fragt Kim.
Wen meinst du?, frage ich. Kim deutet mit ihrem Becher auf die Tanzfläche. Junge Frauen, alle von ihnen in diesen bunten Kleidern schmiegen sich eng an ältere Männer, die Jeans und Hemd tragen. Die Frauen tanzen, die Männer lassen sich mitziehen, fassen die Frauen immer wieder an. Kommen ihnen immer wieder nah. Die Frauen tanzen immer wieder von ihnen fort, lassen sich immer wieder einfangen. Ein Spiel, vielleicht. Oder ein Geschäftsmodell.
Soldaten, sagt Kim, wir müssen sie aus unserem Raumschiff rausbekommen. Ich will nicht mit diesen Leuten zum Mond fliegen.
Jan Fischer
Geboren 1983, aufgewachsen zwischen Bremen und Toulouse. Zuerst war er Souvenirverkäufer in Disneyland Paris, zwischen 2003 und 2010 studierte er Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim. Als freier Journalist arbeitet er lokal und überregional, on- und offline, hauptsächlich für nachtkritik.de, die Deutsche Bühne, die Hannoversche Allgemeine Zeitung und die WASD. Er betreibt eine eigene, kleine Onlinezeitschrift namens zebrabutter.net.
Hin und wieder gibt es Kurzgeschichten von ihm in Literaturzeitschriften und Anthologien zu lesen, einige haben schon Preise gewonnen, andere nur fast. Bücher von ihm erschienen bei mikrotext und im Hanser Verlag. Außerdem ist er Teilzeittexter international bekannter Luftgitarrist.
Siegergeschichte
Maik Gerecke
Hammer Arsch, haben sie gesagt. Nicht schlecht, Marc, Alter, Respekt, haben sie gesagt. Dabei war ich nur kurz mit ihr durchs Viertel gelaufen. Jetzt stehen sie da, mir gegenüber, kichern mit ihren qualmenden Kippen in den Mündern. Glotzen mich an wie neugierige Waschweiber.
„Na jetzt erzähl doch, Alter! Was’n das für ’ne Alte, Mann?“
Wir befinden uns auf einem Spielplatz, den schon seit Jahren kein Kind mehr betreten hat. Um uns herum Blockhäuser voll mit traurigen Existenzen, die schon seit Jahrzehnten, vielleicht Jahrhunderten, ratlos den immer selben und öden Lebensentwurf wiederkäuen. Die Wahrheit ist: Eigentlich will ich gar nicht drüber reden. Aber das ist jetzt keine Option mehr. Nichts zu sagen, würde Versagen andeuten und das kann ich mir nicht leisten. Ich muss der Held in dieser Geschichte bleiben.
Maik Gerecke
Maik Gerecke lebt als freier Autor und Veranstalter in Berlin. Er wuchs an der Unterkante der Gesellschaft auf (Niedersachsen) und mauserte sich vom Hauptschüler zum Akademiker. Seine deutlich moll-lastige Prosa wurde mehrfach in Deutschland, Österreich und der Schweiz publiziert. Er arbeitet für das Literaturhaus Lettrétage in Berlin-Kreuzberg und ist Mitorganisator der Berliner Lesereihe Konzept*Feuerpudel.
Entschieden
Holger Heiland
Ich, sagte sie und biss sich gleich auf die Zunge: Allein für die Formulierung dieses einen Wortes habe sie vierunddreißigeinhalb Jahre gebraucht. Und manche Worte kosteten, so notwendig sie sein mochten, im Mindesten das Glück.
Holger Heiland
Geboren 1969 in Frankfurt am Main, lebt als freier Texter und Autor in Berlin. Neben der Filmkritik ist die Erforschung der Möglichkeiten von Freiheit im urbanen Raum Schwerpunkt seiner Arbeit. Alle zwei Monate stellt er auf der von ihm zusammen mit Ulrike Helms kuratierten Lesebühne Tati liest underground im Prenzlauer Berg Texte vor.
Unter unserer Würde
Ulrike Helms
Dann standen sie da. Mit ihren haarigen Gesichtern. Diese vier Hünen mit ihrem Forstfahrzeug, direkt neben unserem Zelt, am frühen Morgen, mitten in der Pampa. Keine Ahnung, wo die plötzlich herkamen. Die waren zu viert und wir auch und zu viert ist man ja eine Gruppe, eine recht große Gruppe. Wir lagen noch im Zelt, als das Motorengeräusch näher kam.
(…)
Vier sind wir immer noch. Aber vier gegen vier. Zwei vorne und zwei hinten. Wie die da vor uns. Mein Herz schlägt mir bis zum Halse. Ich friere und schwitze gleichzeitig und habe keine Idee, wie wir aus der Sache wieder rauskommen sollen.
>Ulrike Helms
Ich bin gerne unter Bäumen, die wachsen wie sie wollen und bricht ein Ast, so nimmt es ihnen niemand krumm.
Autorin und Videokünstlerin in Berlin, Studium Bildende Kunst UdK.
Geboren in der nordwestdeutschen Tiefebene als Tochter des Schnapsbrenners Günter und der Tennisspielerin Ingeborg und Schwester des Bruders Andreas der Große.
Wir schienen zu fliegen. Ein schwindelerregender Abgrund tat sich zwischen mir daoben auf dem Arm meiner Mutter und dem Linoleum des Flures auf. Barfüßig und schnellen Schrittes, brachte sie mich zurück ins Bett und deckte mich zu. Ich hatte wieder diesen Traum. Den Traum vorm eigentlichen Träumen. Den Traum von dem riesigen Viech, das im Halbdunkeln lauerte. Fratzen sollte ich schneiden, damit es mir Einlass gewährt und das konnte ich zum Glück wirklich gut. Nur verausgabte ich mich derart, dass ich schon auf halbem Wege zum Ziel vor Erschöpfung beinah zusammenbrach. Das war der Moment in dem ich immer aufwachte, ins Schlafzimmer meiner Eltern lief, um Schutz zu suchen. Wenn meine Mutter mich zurückbrachte, war es nur noch die Höhenangst, die es zu überwinden galt. Die Reise konnte beginnen.
Zwischen 10 und 12
Daniel Klaus
Stefanie war eine der ersten Personen, die ich kennenlernte, als ich nach Berlin zog. Ich habe mir damals eine Reihe von WG-Zimmern angeschaut, und ihre Wohnung war die vierte oder fünfte. Ich fuhr mit der Tram raus nach Weißensee, stieg am Antonplatz aus und lief dann noch ein ganzes Stück zu Fuß, bis ich schließlich vor einem Altbau stand und auf das Klingelschild mit dem Namen FREIBRÜCK drückte. Die Wohnung befand sich im Hinterhaus im Hochparterre, was nicht in der Annonce gestanden hatte, und das Zimmer war ziemlich dunkel. Es hatte nur morgens zwischen 10 und 12 Uhr Tageslicht. Im Winter sogar noch ein paar Minuten weniger.
Daniel Klaus
Daniel Klaus, geboren 1972 in Wiesbaden. Lebt als Schriftsteller in Berlin. Walter-Serner-Preisträger, Literaturförderpreis Ruhrgebiet, Alfred-Döblin-Stipendium. Kolumnen für die taz, derFreitag und die Stuttgarter Zeitung. Zahlreiche Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften, Anthologien und im Radio, u. a. in: Am Erker, Das Magazin, Lichtungen, Podium, Erostepost, Konzepte, &Radieschen, im Knaur-Verlag, im konkursbuch-Verlag, auf 1LIVE, BR2 und SWR2.
Margret & Fritz
Katharina Körting
Margret liebte den Kitzel und hasste die Vorhersehbarkeit ihres kleinstädtischen Elternhauses. Sie wusste, wogegen sie zu leben hatte. Meine Mutter weiß es noch immer, und da schiebt sich so viel Heute vor ihre Geschichte, dass sie im Gegenlicht zu verschwinden droht. Geblendet angle ich nach Margret, will sie kennenlernen – jetzt, wo das Licht nachlässt, der Himmel meiner Mutter tiefer liegt, will ich durch die feuchte Kälte nach ihr greifen, geködert von einem goldenen Ring. Ich muss dafür den Schneeregen außer Acht lassen, der uns umfängt, meine Mutter und mich, in dem man friert und sich aneinander wärmt und die hellen Tage als Glück begreifen lernt. Margret fror nicht leicht, denn sie ging in der Sonne, scharte Studenten um sich, und einer davon, der Schönste, war Fritz (…)
Katharina Körting
Jahrgang 1968, M.A. phil. (Philosophie, Romanistik Soziologie), M. A. Biografisches und Kreatives Schreiben, lebt in Berlin. Neben Veröffentlichungen in Anthologien und Literaturzeitschriften (entwürfe, konzepte, schreibkraft, Palmbaum, Dichtungsring u. a.) erschien 2018 der politische Roman Rotes Dreieck im Bonner Kid Verlag. Im April 2019 folgte Mein kaputtes Heldentum bei Marta Press Hamburg. Die Autorin ist Mitglied im Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS ver.di) und im Netzwerk freie Literaturszene Berlin.
Ida und die anderen
Bernd Lüttgerding
Ida liebt es, auf dem Beifahrersitz die Felder und Gebüsche an sich vorbeiziehen zu sehen, in Museen zu gehen, die Sonnenstrahlen, die aus einer unentdeckten Seitenstraße auf die Terrasse fallen und ihre Kaffeetasse, ihre Finger berühren. Sie meint, womöglich liebt sie diesen Schweizer, trotz seines Vateralters. Sie trifft ihn weiterhin, auch als sie in Düsseldorf keine Arbeit mehr findet und als ganz junge Meisterin eine Stelle bei den Konfektionswerkstätten in einer dieser norddeutschen Kleinstädte annimmt, leider wieder ziemlich nah an der Vergangenheit.
Bernd Lüttgerding
Bernd Lüttgerding, geboren 1973 in Peine (Niedersachsen), lebt seit 2008 in Belgien. Er schreibt Gedichte und Romane. Einige Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien.
Ich spürte, wie mein Kopf rot wurde und sich tief in mir eine bis dahin ungekannte Verletztheit ausbreitete, meinen eigenen Intimbereich derart vulgär seziert von einem alten Mann in die Öffentlichkeit gezerrt zu sehen. »Ist das dein Ernst?«, entfuhr es mir geschockt, aber mein Großvater realisierte gar nicht, dass ich mit ihm gesprochen hatte.
Kerstin Meixner
Geboren 1980 in Wuppertal, ist immer noch dort wohnhaft. Abitur und Beginn des Studiums der Germanistik, Geschichtswissenschaft und Philosophie an der Bergischen Universität Wuppertal im Jahr 1999. Seit 2003 Arbeit als freiberufliche Nachhilfelehrerin für Deutsch und Mathematik. Veröffentlichungen von Kurzgeschichten in verschiedenen Literaturzeitschriften, u.a. PS- Politisch Schreiben. Anmerkungen zum Literaturbetrieb #3, Mosaik #24, Ausreißer #84, Karussell #10 sowie KLiteratur #1 und #3. Im November 2018 dritter Platz beim österreichischen Kurzgeschichtenwettbewerb zeilen.lauf mit der Kurzgeschichte Durch die Wand.
Bei Licht betrachtet
Birgit Rabisch
Der öffentlich-rechtliche Moderator hat die sprachliche Herkunft des Frühlings schon abgehakt, empfiehlt seinen geneigten Hörerinnen und Hörern jetzt eine Ausstellung in Hamburg: Niki de Saint Phalle und ihre Nanas. Diese wunderbaren, grellbunten, prallbrüstigen, breithüftigen Frauenfiguren! Da müssen Sie hin! Die Stimme belebt sich, von tranig zu Tremolo und zurück zu tranig. Es folgen die Verkehrsnachrichten.
Doch ich bin schon elektrisiert. Da muss ich hin! Ich habe die Nanas bisher nur auf Bildern angestaunt und jetzt sind sie leibhaftig hier, hier in Hamburg, meiner Vaterstadt, nein, meiner Mutter Stadt, denn mein Vater kam von weit, weit her, out of Africa.
Wir gehen in eine Ausstellung, verkünde ich dem Liebsten an meiner Seite, der sich von mir wegdreht.
Birgit Rabisch
Die Hamburger Autorin Birgit Rabisch hat bisher elf Bücher veröffentlicht. Ihr dystopischer Roman „Duplik Jonas 7“ (ausgezeichnet mit dem Literaturpreis NRW, mehrfach übersetzt und dramatisiert) avancierte zum Bestseller und Standardwerk für den Schulunterricht zum Thema Gentechnologie. Der Roman wird zurzeit verfilmt.
Zuletzt erschienen im Verlag duotincta die Romane „Die vier Liebeszeiten“, „Wir kennen uns nicht“ und „Putzfrau bei den Beatles“.
Wenn Tauben und Enten die Plätze tauschen
Stefanie Schweizer
Neue Kunden sind einfach immer scheiße. Wobei. Alte Kunden können auch richtig ätzend sein. Da war dann schon mal einer von Tonis Kollegen. Im schlimmsten Fall Aaron. Das macht die Sache dann halt echt nicht besser. Ob Kunde oder Kundin ist dabei Latte. Ein dummer Spruch kommt immer. Häufig gar nicht böse gemeint. Aber trotzdem einfach dumm. Einfach nicht nachgedacht. Aus Versehen. Ist dadurch nicht besser. Aber hey. Ist nicht so als könnte Toni deswegen jetzt nicht pennen. Aber früh morgens dummes Gelaber schlucken. Das ist hart.
Stefanie Schweizer
wurde am 29.08.1990 bei Biberach geboren und studierte am Literaturinstitut Hildesheim. Ihre Texte erschienen in Anthologien, Literaturzeitschriften und online. 2013 wurde sie mit dem Otto-Rombach-Stipendium und 2018 mit dem dritten Platz des Förderpreises der Literaturvilla Herrendorf ausgezeichnet. Unter @muedebinich widmet sie sich kurzen Erzählformen. Als Redaktionsmitglied der Plattform upgration.de und Mitglied des Cameo Kollektivs setzt sie sich für eine offene und vielfältige Gesellschaft ein.
Bo
Frank Schliedermann
Mit einem zerknüllten T-Shirt in der Hand blicke ich über sein Bett hinweg aus dem Fenster, in die Prärie dieses endlosen Tages und wiederhole, was Anatol oft gesagt hat, in Momenten wie diesen, wenn ihm das Leben zum Hals heraushing, wenn er morgens, nachdem die Kinder mit viel Getöse das Haus verlassen hatten, schlecht gelaunt aus dem Küchenfenster starrte, kurz bevor ich zur Arbeit ging und er sich wieder ins Bett legte.
„Wenigstens haben wir es warm.“
Frank Schliedermann
(Jg. 1973) arbeitete viele Jahre als Werbetexter für Autos, Deos, Motorsägen und Haarwuchsmittel, ehe er begonnen hat, Kurzgeschichten zu schreiben. Seitdem wurden mehrere seiner Texte in Anthologien veröffentlicht sowie bei Wettbewerben prämiert. Er lebt in Hamburg, ist verheiratet und hat zwei Kinder.